Demokratische Führung von Start-ups
Erfolgreich Gründen und wachsen Dank Unternehmensdemokratie
Ist Ihr Buch „Alle Macht für niemand“ auch für Start-ups relevant?
Im Interview Dr Anreas Zeuch: Eine gute Frage. Start-ups sind nicht die typischen Unternehmen, die ich bei der Recherche für das Buch im Fokus hatte. Das liegt einfach daran, dass viele Start-ups auf natürliche Weise mehr oder minder demokratisch gegründet werden. Am Anfang zieht niemand, wenn drei Freunde, Kumpels oder von mir aus auch nur Geschäftskollegen gründen, als erstes eine typisch hierarchische Firmenstruktur hoch. Das wäre auch Blödsinn. Da ist selten jemand von Anfang an der anweisende Geschäftsführer und die anderen beiden die Erfüllungsgehilfen.
Interessant wird es, wenn das ehemalige Start-up langsam erwachsen wird, wenn 60 oder 70 Mitarbeiter dabei sind. Dann beginnt irgendwann der Ruf nach einer Professionalisierung des Managements, was häufig auch mit Investoren zusammenhängt, die genau das fordern, wenn sie das Start-up finanzieren. In dem Moment, wenn diese Forderung auftaucht, sei es intern oder extern motiviert, wird es interessant: Dann geht es um eine Weichenstellung. Ab in die bürokratische Welt der Pseudoprofessionalität auf Kosten von Innovationskraft und Arbeitsfreude oder in die Professionalisierung der Selbstorganisation des Start-ups.
Das wirft gleich mehrere Fragen auf: Erstens, was meinen Sie mit Pseudoprofessionalität?
Die längst widerlegte Vorstellung, dass ökonomisch erfolgreiche Unternehmensführung nur über Command-and-Control zu leisten sei.
Inwiefern ist diese Vorstellung längst widerlegt?
Es gibt seit Jahrzehnten genügend Unternehmen, die dieses Modell längst aufgegeben haben und damit teils enorm gewachsen sind. Diese Beispielunternehmen wie Semco, AES, Southwest Airlines – um zunächst mal die Klassiker zu nennen – widerlegen genauso wie die Beispielunternehmen meines Buches dieses angeblich einzige und erfolgreichste Führungskonzept.
Und warum geht die traditionelle Art der Unternehmensführung auf Kosten der Innovationskraft und Arbeitsfreude?
Ganz einfach: Wie ich im ersten Kapitel meines Buch zeige, führt die klassisch hierarchische Unternehmensführung dazu, dass die psychologischen Grundbedürfnisse nach Selbstbestimmung und Kontrolle über das eigene Leben in der Arbeit, die ja einen großen Teil unseres Leben ausmacht, nicht erfüllt werden. Unsere Arbeit ist nicht nur ein zeitlich großer Faktor unseres Lebens, sondern auch wichtig für unseren Selbstwert und unsere Identität. Denjenigen, die ein Unternehmen gründen, sollte dies natürlich bewusst sein. Wenn wir nur lang genug zum Erfüllungsgehilfen und Befehlsempfänger degradiert werden, dessen Meinung oder Ideen egal sind, führt dies sicherlich nicht bei allen aber vielen der Angestellten zu Frustration, mitunter sogar zu Burnout. Und spätestens da wird es auch wirtschaftlich relevant.
Wenn die Angestellten sich nicht krank melden oder den Arbeitgeber wechseln, werden sie nach dem dritten, vierten oder fünften vergeblichen Versuch, innovativ zu sein, aufgeben mitzudenken und neue Ideen zu entwickeln. Sie schrubben dann Dienst nach Vorschrift, der Job wird zu einer lästigen Pflichtveranstaltung, ein 9to5 Job. Fertig. Ideen zur Verbesserung von Produkten, Services oder Prozessen werden irgendwann nicht mehr gemacht. Nicht umsonst versuchen große Unternehmen mit den erstarrten hierarchischen Strukturen die innovativen Vorteile von Start-ups einzukaufen oder in kleinen Labs selber zu imitieren. Das lässt sich bei marktführenden Konzernen wie Apple oder Google schön beobachten: Die Innovationen kommen dort längst nicht mehr aus dem eigenen Haus wie früher, sondern werden seit Jahren in Form von Start-ups und kleinen Unternehmen dazu gekauft. Was eben zeigt, dass die Innovationskraft in dem alten System von formal-fixierter Hierarchie und Kontrolle langsam schwindet. Das hat übrigens auch schon der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Clayton Christensen in seinem Standardwerk „The Innovator‘s Dilemma“ in zig verschiedenen Branchen nachgewiesen.
Also sollten Start-ups keine Hierarchie entwickeln?
Das lässt sich so nicht verallgemeinern und ist ein weit verbreitetes Missverständnis von Unternehmensdemokratie: Das es keine Hierarchie mehr gäbe, dass nur noch alles von allen basisdemokratisch entschieden würde. Das ist – nüchtern formuliert – sachlich falsch. Es gibt, wie ich in „Alle Macht für niemand“ klar mache, ganz unterschiedliche Formen von Unternehmensdemokratie. Abgesehen davon ist es nötig, den Begriff Hierarchie endlich mal zu präzisieren. Hierarchie an sich ist nicht das Problem. Sondern formal-fixierte Hierarchie, also wenn Mitarbeiter auf eine Führungsstelle kommen und dort qua Organigramm solange Führungskraft bleiben, bis sie die nächste Karrierestufe erreichen oder das Unternehmen verlassen. Das ist der wunde Punkt. Denn auf diese Weise wird verhindert, dass unter sich verändernden Bedingungen Mitarbeiter, die vielleicht in einer neuen Phase die besseren Führungskräfte wären, die Führung übernehmen.
Vor allem aber habe ich nie behauptet, dass ein Unternehmen ohne Hierarchie funktionieren würde. Natürlich braucht es in Projekten, Bereichen, Abteilungen und Teams auch Personen, die in Führung gehen. Das zeigen auch verschiedene Studien, wo formal-fixierte Hierarchien abgeschafft wurden. Die Folge: Es entwickelten sich wieder natürliche Hierarchien. Das ist meiner Auffassung nach nicht nur normal, sondern auch gesund. Ich will auch nicht dauerhaft auf die eine oder die andere Rolle festgelegt sein. Ich führe ebenso gerne wie ich folge. Aber dazu muss ich denjenigen, die führen, vertrauen und sie für kompetent halten, die Führung zu übernehmen – genauer: für kompetenter als mich. Ansonsten würde es ja mehr Sinn machen, dass ich führe.
Jedes Start-up muss da seinen eigenen Weg finden. Für die einen ist ein Modell wie das des Software-Entwicklers Haufe-umantis AG passend, bei dem jährlich alle Führungskräfte von der Belegschaft gewählt werden. Für andere ist es passend, dass Führungskräfte zwar weiterhin auf festen Stellen sitzen, sie aber bei wichtigen Entscheidungen gemeinsam mit ihren Mitarbeitern entscheiden.
Was müssen Start-ups denn berücksichtigen, damit sie nicht in die, wie Sie es nennen, Bürokratisierungsfalle laufen?
Der allererste und aus meiner Sicht wichtigste Punkt besteht darin, dass sich die momentanen Geschäftsführer, Vorstände und Inhaber darüber klar werden, in welcher unternehmerischen Welt sie leben wollen. Denn natürlich kann ich auch mit klassischen, traditionellen Modellen der Führung wirtschaftlich erfolgreich sein. Es ist also weniger die Frage, welches Modell der Unternehmenssteuerung eine bessere Gewinnmaximierung ermöglicht. Beide Modelle haben Vor- und Nachteile.
Es ist eher eine Frage des Wollens: Will ich täglich in einer Welt von Command-and-Control leben und meine Mitarbeiter anweisen, wie sie ihren Job zu machen haben? Will ich täglich Mikromanagement betreiben und dann kontrollieren, ob der Bleistift auch rechts wie angeordnet abgelegt wird? Letzteres ist übrigens kein albernes, erfundenes Beispiel von mir, sondern leider traurige Wirklichkeit in einem der großen deutschen Lebensmitteldiscounter. Dort wurde tatsächlich die Schreibtischordnung angewiesen. Und wenn ich diese Anweisung ausgebe, muss ich natürlich auch kontrollieren, ob sie eingehalten wird. Sonst werde ich unglaubwürdig als anweisender Chef. Aber damit nicht genug. Wenn ich so anweise und kontrolliere, dann muss ich auch die Konsequenzen wollen: das Mitarbeiter zu bloßen humanoiden Maschinen werden, die das jeweils hochgeladene Programm ausführen, ohne weiter mitzudenken und unternehmerisch zu handeln. Dann kann ich von meinen Angestellten auch nicht „Entrepreneurship“ verlangen, was andauernd zu hören ist. Das ist dann ein tiefer Widerspruch in sich, der bei den Angestellten irgendwas zwischen Lachsalven, Heulen oder Kotzreflexen auslöst.
Die Alternative, für die ich plädiere sieht anders aus: Ich will in einer Welt leben, in der ich von motivierten Kollegen umgeben bin, die mitdenken, mitentwickeln und sich fürs Unternehmen engagieren. Die aber auch einander helfen und sich gegenseitig unterstützen. Ich will in einer Welt leben, in der meine Kollegen morgens im Allgemeinen gerne aufstehen und sich auf die gemeinsame Arbeit freuen. Das Leben ist zu kurz, um sich jeden Morgen zur Arbeit zu quälen. Ich will in einer Welt arbeiten, in der vielfältige, bunte Kreativität lebt; ich will ein Arbeitsumfeld, in dem tendenziell mehr gelacht als rumgemuffelt wird. Ich will in einer Welt arbeiten, in der sich die Menschen eher vertrauen als misstrauen. Das ist die Grundsatzentscheidung. Wer will, kann auch die andere Welt wählen. Der sollte dann aber nicht jammern oder fluchen, wenn sich die Mitarbeiter entsprechend eingerichtet haben und die Schuld nur bei der faulen und dämlichen Belegschaft suchen.
Was die praktische Umsetzung von Unternehmensdemokratie angeht, braucht es unter anderem drei Punkte: Erstens müssen die Gründer, die ja häufig oder meist auch die Geschäftsführer des Start-ups sind, bereit sein, die Gestaltung und Steuerung ihres noch jungen Unternehmens mit ihren Mitarbeitern zu teilen. Sie müssen das wirklich wollen. Zweitens sollten sie von Anfang an darauf achten, dass sie vor allem Mitarbeiter einstellen, die daran interessiert sind, mitzubestimmen, die unternehmerisch denken und handeln. Drittens ist es wichtig, ein professionelles demokratisches Entscheidungsdesign im Unternehmen aufzubauen, sprich: für das Unternehmen passende Entscheidungsprozesse und -instrumente zu etablieren.
Und wie lange dauert der Wandel zu einer demokratischen Unternehmenskultur?
Das großartige an Start-ups: Das muss gar kein Wandel sein. Wie schon zu Beginn gesagt, haben die meisten Start-ups doch nicht gleich zu Beginn ein traditionelles Management- und Führungssystem etabliert. Wie auch, wenn da drei, vier Leute gemeinsam arbeiten? Im Gegensatz zu den Unternehmen, die ich im Buch portraitiert habe, ist es kein Wandel nach einer teils über 100 Jahre währenden Geschichte traditioneller Hierarchie. Dieser Kulturschock, als Mitarbeiter plötzlich tatsächlich Verantwortung übernehmen zu dürfen und auch zu sollen, der bleibt dann aus. Es geht eher darum, die schon bestehende demokratische Kultur und Struktur bewusster zu machen und professionell auszubauen. Wenn in einem tradierten Unternehmen vier, fünf oder sechs Jahre normal sind, um eine Transformation in Richtung Unternehmensdemokratie dauerhaft erfolgreich hinzubekommen, kann das bei einem Start-up deutlich schneller gehen, auch weil naturgemäß wesentlich weniger Mitarbeiter betroffen sind. Bei älteren Unternehmen können das schnell hunderte oder sogar tausende Mitarbeiter sein. Exakte, allgemein gültige Prognosen für Start-ups sind ebenso wenig seriös, wie bei tradierten Unternehmen. Das hängt von zu vielen Faktoren ab.
Und die wären?
Wie schon angedeutet: Wenn das Start-up durch Fremdkapital von professionellen, institutionellen Investoren finanziert ist, wird es schwierig mit der demokratischen Gestaltung der Firma. Diese Investoren sind die Inkarnation des Shareholder-Values. Die wollen meistens eine maximal schnelle, maximal hohe Rendite sehen, denn genau das ist ihr Existenzzweck. Wenn die nicht auf klassische Strukturen pochen, haben sie ihre Daseinsberechtigung verloren. Bei Crowdfunding sieht das schon anders aus. Eine demokratische Unternehmenskultur passt prinzipiell gut zur Finanzierung durch viele nicht professionelle Kleinanleger.
Ein anderer wichtiger Ausgangspunkt ist die Frage, ob und wenn ja wie bisher Entscheidungsprozesse strukturiert und standardisiert waren. Am Anfang machen sich die wenigsten Gründer Gedanken darüber, auf welche Art und Weise sie ihre Entscheidungen treffen. Da steht die Geschäftsidee und das Geschäftsmodell im Vordergrund, es geht um das innovative Produkt oder eine entsprechende Dienstleistung.
Desweiteren hängt die Demokratisierung auch davon ab, wie schnell das Unternehmen wachsen soll. Träumen die Gründer vom nächsten Facebook oder wollen die eher bewusst bescheiden lokal handeln? Damit eng verflochten ist auch die Skalierbarkeit des Produkts oder der Dienstleistungen. Bei stark skalierbaren Produkten und Dienstleistungen ist natürlich der Effizienzgedanke schnell bei der Hand, um das Wachstum zu beschleunigen und gleichzeitig den Gewinn zu maximieren.
Das Allerwichtigste ist aber das Warum! Warum habe ich, warum haben wir unsere Firma gegründet? Was wollen wir damit erreichen? Wollen wir maximal schnell Gewinn erwirtschaften oder wollen wir mit einem klugen Produkt die Welt ein bisschen besser machen? Oder ist es sogar ein erklärtes Ziel, wie bei mehreren meiner Beispielunternehmen, ein inspirierendes Arbeitsumfeld zur Verfügung zu stellen. Eine extreme Variante davon würde darin bestehen, dass die Produkte der Firma nur zweitrangig sind, weil es in erster Linie um die Freude an der Arbeit geht.
Das klingt ziemlich idealistisch, fast verträumt.
Wieso? Ich sagte doch und habe ausführlich darüber geschrieben: Es gibt Unternehmen, denen es ein zentraler Sinn ist, eine demokratische, gesunde, lebendige und inspirierende Unternehmenskultur zu leben und zwar so, dass am Ende des Tages mehr Gewinn erwirtschaftet wurde. Nachweislich. Damit ist die generalisierende Behauptung, das würde nicht gehen, oder zwingend zu wirtschaftlichem Misserfolg führen, widerlegt. Ein schwarzer Schwan reicht, um die These, alle Schwäne seien weiß, zu falsifizieren. Ganz einfach. Das hat nichts mit Idealismus oder Träumerei zu tun.
Genau genommen ist das sogar deutlich rationaler und ökonomischer: Zu prüfen, welches Steuerungsmodell Erfolg versprechender ist. Das gilt natürlich in besonderer Weise für hochdynamische Marktumfelder. Genau dann muss ein Unternehmen flexibler und anpassungsfähiger werden. Und das wird es nicht dadurch, dass ich für jeden Einkauf, oder jede Verbesserungsidee erst mal meinen Chef fragen muss, der dann bei seinem Chef anklopft, damit der seinen Vorgesetzten um Erlaubnis bittet. Das ist alles keine Schwarzmalerei, sondern leider Realität, die ich mit Kunden erlebt habe.
Vielen Dank Herr Dr. Zeuch
Falls sie Fragen an Herrn Dr. Zeuch haben, schauen sie doch auf seiner Webseite www.unternehmensdemokraten.de oder bei www.facebook.com/unternehmensdemokraten vorbei.